Den klassischen Küstenschutzmaßnahmen werden hier die sogenannten „naturbasierten“ Küstenschutzmaßnahmen gegenübergestellt.
Zu (naturbasiertem) alternativem Küstenschutz gehören Maßnahmen wie:
- Treibseldünen;
- Bodenverfestigung durch Bakterien am Strand aber auch im Vorstrandbereich sowie in Regionaldeichen;
- Seegrasmatten;
- Künstliche Riffe;
- Bodenschwellen;
- Palisaden;
- Muschelbänke;
- mobiler Hochwasserschutz in niedrig gelegenen städtischen Arealen;
- Verwendung von Baggergut aus Unterhaltungsmaßnahmen von Hafenzufahrten;
- Rückbauten von Buhnenhälsen;
- Überlaufdeiche;
- eine zugelassene Wiedervernässung von Hinterlandarealen.
Treibseldünen
Eine Treibseldüne ist eine sehr einfache und kostengünstige Küstenschutzmaßnahme. Mit einer Treibseldüne werden zwei Aspekte bedient: einerseits muss das Treibsel (Strandanwurf) nicht teuer entsorgt werden, andererseits bietet eine Treibseldüne einen gewissen Küstenschutz in dem bei Hochwasser die Wellenenergie an einem Bauwerk oder Kliff verringert wird.
Ein Beispiel ist die Treibseldüne in Noer. Hier wurde ein 50 m langer und 5 m breiter Graben ca. 1 m tief ausgehoben und mit Treibsel befüllt, verdichtet und mit dem sandigen Aushubmaterial bedeckt und anschließend mit natürlicher Küstenvegetation bepflanzt (Strandroggen). Je nach Örtlichkeit können diese Maße variieren. So eine Düne ist stabiler als eine unbewachsene natürliche Düne, bietet aber bei starkem Wellenschlag nur eine bedingte Zeit Widerstand. So eine Düne kann aber relativ schnell wieder aufgebaut werden. Wenn Geschiebemergel im Untergrund oder im Kliff ansteht, sollte dieser nicht angefasst werden.
Aufbau einer Treibseldüne am Beispiel Noer:
Alternativ kann eine künstliche Düne auch mit einem festeren Kern aufgebaut werden. Der Kern kann z.B. aus Naturfaserschläuchen oder Säcken, die mit Sand oder Steinen gefüllt sind, bestehen. Wie bei einer Treibseldüne werden diese Schläuche oder auch Sandsäcke mit Sand bedeckt und anschließend mit Strandhafer bepflanzt.
Bodenverfestigung durch Bakterien
Was sich auf den ersten Blick unschön anhört es aber nicht ist, ist eine Bodenverfestigung durch Bakterien. Bodenverfestigung ähnelt dem Prinzip der „Beach Rock“ Entstehung in wärmeren Regionen. Dieser natürliche Prozess dauert aber Jahrhunderte oder länger.
Die anthropogen eingesetzten Bakterien sind für die Umwelt unschädlich. Sie erhöhen den PH-Wert im Substrat, so dass Kalk ausfällt und das Substrat verbacken wird. Je nach Dosierung der Bakterien und der Menge der Zugabe einer Nährlösung lässt sich die entstehende Verfestigung des Bodens steuern. Einsetzbar wäre diese Methodik z.B. zur Stabilisierung von Abbruchkanten. Aber auch der Einsatz im Küstenvorfeld zur Riffstabilisierung wäre denkbar. Auch eine Impfung von Regionaldeichen erhöht deren Stabilität.
Dieser Effekt kann aber auch mit Schwachstrom von vier Volt erzeugt werden, um aus losem Sand und Meerwasser ein festes Gestein zu bilden. Als Folge der Einleitung von Schwastrom bildet sich zwischen den Sandkörnern eine feste, verbindende Masse, die aus Calciumcarbonat (CaCO3) und Magnesiumhydroxid (Mg(OH)2) besteht. Rohmaterial dafür sind die im Meerwasser gelösten Calcium- und Magnesium-Ionen und gelöstes CO2.
Seegrasmatten
Seegraswiesen reduzieren die Wellen- und Strömungsenergie und tragen somit zur Reduzierung des Sedimenttransportes während normaler hydrologischer Bedingungen bei. Breitere und höhere Strände können die Folge sein. Während Hochwasserereignissen ist somit mehr Sediment im System vorhanden, welches sich positiv auf die Erosionsraten auswirkt. Seegraswiesen sind z.Z. jedoch im Rückgang. Seegraswiesen sollten daher nicht nur geschützt, sondern auch in ihrer Entwicklung unterstützt werden. Dies kann durch vorgefertigte Seegrasmatten erfolgen. Diese sind ähnlich der an Land z.B. bei der Begrünung von Autobahnlärmschutzwällen eingesetzten Matten, die mit Grassaat geimpft sind. Im marinen Bereich könnte hier eine Matte aus Naturstoffen (Jute, Hanf etc.), die mit Seegrassamen/Seegrassprossen geimpft ist, eingesetzt werden. Aber auch angeschwemmtes Seegras selbst könnte zu solchen Matten verarbeitet werde. Verankert werden können die Matten mit sich selbstauflösenden Nägeln, so dass die Matten fixiert sind und keine umweltschädlichen Stoffe freigesetzt werden. Größere Areale derart zu bearbeiten ist eher unrealistisch. Diese Seegrasmatten sollten vielmehr in gewissen Abständen eingesetzt werde (sog. Step Stones), so dass auf natürliche Weise durch Ausbreitung der Pflanzen in die Freiräume ein größerer zusammenhängender Bereich entsteht.
Künstliche Riffe
Riff wird im deutschen Sprachgebrauch meist mit Korallenriff assoziiert. Gemeint sind aber an der Ostseeküste die sich in Küstennähe befindlichen Sandbarren, im englischen Sprachgebrauch „long-shore bars“. Diese befinden sich einige zehner bis zu einigen hundert Metern vor der Küste und tauchen nur bei extremem Niedrigwasser auf. Hier findet allerdings ein intensiver Sedimenttransport statt, der für die Küstendynamik zwingend notwendig ist. Ebenso wird hier die Wellenenergie gedämpft. Diese Riffe sollten keinesfalls durch starre Baumaßnahmen beeinflusst werden.
Sandaufspülungen auf dem Strand sind sichtbar und damit psychologisch positiv. Aber auch Riffauffüllungen stellen einen wichtigen Beitrag zum Küstenschutz da. Da diese nicht sichtbar sind, werden diese oft unterschätzt oder gar missachtet. Von hier aus wird der Sand küstennormal und küstenparallel transportiert.
Eine andere Möglichkeit ist die Errichtung von künstlichen Riffen. Hierbei handelt es sich nicht um Sandriffe sondern um Steinschüttungen im Küstenvorfeld. Je nach Design können diese künstlichen Riffe nicht nur die Wellenenergie reduzieren, sondern auch neue Habitate für Flora und Fauna bieten. Durch Hohlraumbildung in den locker geschütteten Steinen entstehen Bruthöhlen und Rückzugsgebiete für Fische und Algen etc. Diese Steine können sehr gut besiedelt werden. Diese Riffe können auch aus „Reefballs“ errichtet werden. Reefballs bieten den Vorteil, dass sie ein Habitat für Fische darstellen, da diese Öffnungen haben und im Inneren sich die Fische aufhalten oder laichen können. Durch den Einsatz von diesen Reef Balls ist die Habitatstruktur besser planbar.
Beispiel eines Reefballs (Photo T. Meyer, Marilim):
Bodenschwellen
Bodenschwellen im Küstenvorfeld sind künstliche Erhebungen auf dem Seegrund die das mit der Rückströmung am Seegrund mitgeführte Sediment auffangen sollen. Diese Bodenschwellen sind eher flach damit von der Seeseite her das durch die Welle mitgeführte Sediment Richtung Strand transportiert werden kann. Materialien könnten Geotextilien sein, aber auch mit Sand gefüllte Naturfasersäcke. Naturfasersäcke zersetzen sich nach gewisser Zeit, können aber leicht nachgelegt werden. Um eine Umströmung zu verhindern sollten Bodenschwellen zwischen Buhnen platziert werden oder aber als Doppel-L ausgebildet werden. Bodenschwellen sind in Bereichen ohne vorgelagertes Riff denkbar.
Palisaden
Palisaden sind küstenparallele Holzpflöcke auf dem Strand in Reihe angeordnet mit kleinen Abständen. Bei erhöhten Wasserständen fließt das mit Treibsel und Sand beladene Wasser über die Palisaden und das Wasser kann durch die Lücken zurück in die See fließen. Treibsel und Sand bleiben aber hinter den Palisaden auf dem Strand zurück. So konnte in Kellenhusen in 4 Monaten eine Stranderhöhung von 40 cm erreicht werden.
Palisaden Kellenhusen (Foto: G. Heerten, maritime.geotechnical.consulting):
Muschelbänke
Miesmuschelbrut ist in der westlichen Ostsee in der Wassersäule zahlreich vorhanden. Was fehlt ist Substrat, auf welchem die Miesmuscheln siedeln können. Dieses kann künstlich angeboten werden. Hierfür werden Netze aus natürlichem Material senkrecht in die Wassersäule gehängt und die Muscheln können darauf siedeln. Wenn diese groß genug sind, um sich nicht mehr von dem Material lösen zu können, werden diese Netze auf dem Meeresboden gelegt und mit Steinen oder sich selbstauflösenden Nägeln am Meeresboden fixiert. So kann sich hier eine neue Muschelbank etablieren, die den Seegrund stabilisiert. Die Muscheln können allerdings auch absterben.
Netz aus Sisal:
mit Muscheln besetztes Netz:
Mobiler Hochwasserschutz
Das Eintreten von Hochwasserständen ist häufig bekannt und es können rechtzeitig Abwehrmaßnahmen getroffen werden. In niedrig gelegenen Gebieten, dies sind vor allem Häfen und Promenaden aber auch Campingplätze, kann das Hochwasser mit mobilen Wasser- oder Sand/Kies gefüllten Schläuchen davon abgehalten werden infrastrukturelle Einrichtungen zu überfluten. Hierzu werden Schläuche vor den zu schützenden Bereich ausgelegt und anschließend mit Wasser oder Sediment gefüllt. Diese Schläuche haben eine Höhe von ca. 50 cm bis zu 3 m. Da die Schläuche flexibel sind, können diese auch gekrümmt ausgelegt werden und so in höhere Bereiche einbinden damit das Wasser nicht von hinten den zu schützenden Bereich überflutet. Diese Maßnahme fällt jedoch nicht unter die Rubrik Küstenschutz, sondern ist reiner Hochwasserschutz.
Bei kleinen Lücken in den Hochwasserschutzmaßnahmen können auch Holzbalken oder Metallbleche als Schotten eingesetzt werden. Diese Schotten müssen dann nur bei einem sich abzeichnenden Hochwasser geschlossen werden. Dieses ist recht einfach durch zwei uförmigr Führungen, an jeder Seite der Öffnung eine, durch Einsatz der Bleche oder Balken zu erreichen. Nach Ende des Hochwassers werden die Barrieren einfach wieder nach oben gezogen und entfernt.
Baggergut/Sandaufspülungen
Hafeneinfahrten unterliegen häufig einer Versandung. Um die schiffbare Tiefe aufrecht zu erhalten, muss Sediment aus der Hafenzufahrt und teilweise auch aus dem Hafen selbst entfernt werden. Hier fallen größere Sedimentmengen an. Dieses Sediment stammt aus dem Küstenlängstransport, vornämlich aus einer Richtung, da die Häfen üblicherweise nicht an geomorphologische Gegebenheiten angepasst sind. Das Material kann einerseits in Sedimenttransportrichtung verbracht werden und sedimentiert dann nicht nochmals in der Hafenzufahrt oder im Hafen selbst. Andererseits kann dieses Material auch entgegengesetzt der Sedimenttransportrichtung zurückgebracht und dort direkt im Küstenschutz eingesetzt werden. Dieses Material würde sich auch für Riffverstärkungen oder Riffauffüllungen und Sandvorspülungen eignen. Die Vorgehensweise muss ortsspezifisch festgelegt werden.
Da es in der schleswig-holsteinischen Ostsee keine entnehmbaren sandigen Sedimente gibt, muss für eine Sandaufspülung externes Material, z.B. aus Dänemark, teuer importiert werden.
Sandvorspülung:
Rückbauten von Buhnenhälsen
Um negative Folgen der Buhnen durch Störung des natürlichen Sedimenttransports zu reduzieren, können entsprechende Maßnahmen getroffen werden. In Mecklenburg-Vorpommern hat man schon seit längerer Zeit halbdurchlässige Buhnen gebaut. Halbdurchlässig bedeutet hier, dass ab einer gewissen Entfernung vom Strand Lücken in den Buhnen vorhanden sind, so dass hier ein gewisser Sedimenttransport stattfinden kann. Eine weitere Möglichkeit ist, den Bereich der Buhne der in den Strand einbindet, auf etwas über den mittleren Meeresspiegel abzusenken. Während erhöhter Wasserstände kann dann auf dem Strand Sediment transportiert werden. Hierdurch wird die Leeerosion verringert. Ergänzt werden kann solch ein System durch eine Depotvorspülung.
Überlaufdeiche
Hierunter versteht man, das Meerwasser bei einer Sturmflut über einen Deich laufen kann, dieser aber unbeschädigt bleibt. Eine Landnutzung hinter dem Deich muss Meerwasser allerdings vertragen können, wie z.B. Campingplätze im Winter.
Zugelassene Wiedervernässung von Hinterlandarealen
Niedrig gelegene Areale, die nicht intensiv genutzt werden, können unter gewissen Umständen in Naturräume umgewandelt werden. Üblicher Weise sind solche Gebiete durch Regionaldeiche oder zusammengeschobene Strandwälle geschützt. Diese Schutzbauten sind aber unter dem Aspekt des Klimawandels (i.e. Meeresspiegelanstieg) nicht für die Zukunft ausgelegt. Eine Aufgabe wäre daher überlegenswert. Allerdings müssen dann die Küstenschutzmaßahmen nach hinten, vor allem in höhere Bereiche, verlegt werden. Hier könnten z.B. Treibseldünen zum Einsatz kommen, die mindesten 3,25m über NHN bemessen sein sollten. Zerstörerischer Wellenschlag ist in solchen Bereichen minimiert. Die dann dem Ostseewasser ausgesetzten Areale können dann naturnah genutzt werden, oder auch als Ausgleichsmaßnahme deklariert und möglicherweise einem „Ökokonto“ zugeschrieben werden.
Kumulative Wirkungen
Jede Maßnahme ist für sich alleine wirksam. Größere Wirksamkeit wird aber durch kumulative Wirkung erreicht.
Querschnitt (oben) und Draufsicht (unten) von alternativen Küstenschutzmaßnahmen: